Eine der wichtigsten deutschen medienwissenschaftlichen Studienreihen wird vom medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (mpfs) erstellt. Die KIM-Studie (Kinder+Medien) analysiert das Mediennutzungsverhalten von Kindern, während die JIM-Studie (Jugend, Information, (Multi-) Media) das von Jugendlichen und die FIM-Studie (Familie, Interaktion & Medien) das innerhalb von Familien betrachtet. Alle drei Studien sind repräsentativ. Die KIM-Studie wird seit 1998 alle zwei Jahre durchgeführt, die JIM-Studie dagegen jährlich. Die FIM-Studie wurde ausschließlich im Jahr 2011 durchgeführt.
Da Computerspiele ein noch recht junges Phänomen sind, das vornehmlich unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbreitet ist, bietet die JIM-Studie zum Computerspielbereich die meisten Daten. In der aktuellsten Untersuchung wurden von Mai bis Juli 2014 sechseinhalb Millionen Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren telefonisch befragt.
Für die Jugend ist also regelmäßiges Spielen im Alltag längst ganz normal. Inzwischen wird – vor allem von Mädchen – auch viel auf Smartphones gespielt, Computer und Konsolen sind aber immer noch relevante Geräte.
Während früher Offline-Spiele üblich waren, haben inzwischen sehr viele Spiele eine Multiplayerfunktion per Netzwerk. Seit 2009 spielen Jugendliche mehr online als offline.
Die Meinungen der Menschen in der Karlsruher Fußgängerzone gehen weit auseinander. Für den einen sind drei Stunden spielen am Tag völlig in Ordnung, andere sehen bei der Vorstellung schon einen roten Knopf mit der Aufschrift „Sucht!“ aufleuchten. Aber: geht es überhaupt um die Zeit vor dem Bildschirm? Oder vielleicht doch eher um die Einstellung des Spielers?
Oliver Dürr hat schon immer gerne Computer gespielt. Angefangen hat er mit verschiedenen Strategiespielen. Im Alter von 14 Jahren lernt er dann das MOBA-Genrekennen, dem er sich mit einigen Freunden widmet. Als das neue „League of Legends“ immer beliebter wird, steigt der gesamte Freundeskreis darauf um; Oliver Dürr wird besser und besser und schließlich sogar ein internationaler Profi.Seine größten Erfolge waren die Aufnahme in ein Team der EPSund die Teilnahme an den WCG2013.
Auch wenn Oliver Dürr beim Spielen sehr erfolgreich war und die finanziellen Ergebnisse gestimmt haben, als richtiges und sicheres Berufsfeld sieht er den elektronischen Sport nicht an. Heute setzt er sich zum Spielen nur noch hobbymäßig an den Rechner.
„...dass man die Schuld nicht bei den Computerspielen suchen muss, sondern bei den Menschen selbst. Wenn die irgendwelche Probleme haben, kann es sein, dass sich das in einer Computerspielsucht niederschlägt […].“
In der Gesamtgruppe aller Computerspieler sind weniger als ein Prozent süchtig. Betrachtet man spezifischere Gruppen, beispielsweise die männlichen Jugendlichen, fallen bereits mehrere Prozent als gefährdet auf. Nimmt man den weitesten Kreis an „Problempersonen“, liegt man bei etwa sieben Prozent. Darunter fallen aber auch Menschen, die sehr leicht Faktoren aufweisen, welche man unter dem Suchtbegriff zusammenfasst. All diese Zahlen stammen aus Studien von Prof. Dr. Thorsten Quandt. Er ist einer der führenden Forscher für Computerspielnutzung in Deutschland.
Für manche Computernutzer wird es zunehmend schwieriger, zwischen realer und virtueller Erlebniswelt zu differenzieren. Immer häufiger und immer länger werden die vor dem Computer und im Internet verbrachten Phasen – bis es gar nicht mehr anders geht. Dieser „pathologische PC-/Internetgebrauch“ ist ein eigenständiges Krankheitsbild mit unterschiedlichen Erscheinungsformen. In Deutschland gibt es noch nicht viele Kliniken, die sich auch auf diese Krankheit, die in den letzten Jahren immer häufiger auftritt, spezialisiert haben. Die AHG Klinik Münchwies hat ein Angebot zur stationären Rehabilitation bei krankhaftem PC-/Internetgebrauch entwickelt.
Karl (21), Jason (24) und Dietmar (26) sind drei der elf Patienten in der Gruppe „pathologischer PC-/Internetgebrauch“ an dieser Klinik. Ihr Tagesablauf ist stramm: bereits kurz nach acht Uhr morgens beginnt die erste Gruppentherapie. Den Tag über haben sie bis zu fünf Therapietermine, Sportangebote und Kurse. Struktur – für Betroffene ist das alles andere als selbstverständlich. Denn bevor sie in die stationäre Rehabilitation hier im Saarland kamen, sah ihr Tag noch ganz anders aus…
Holger Feindel ist seit 13 Jahren Oberarzt in der AHG Klinik Münchwies und leitet verschiedene Therapiegruppen, die darauf abzielen, die hauptsächlich jungen, männlichen Betroffenen bei ihrem Weg aus der Sucht zurück ins Leben zu unterstützen.
„Wir sehen die Patienten, bei denen es entweder gar nicht reguliert wird oder überreguliert wird. Wie immer geht es um ein gesundes Mittelmaß. [Spielzeiten zu beschränken] halte ich für gut [...]; unsere Patienten [...] sehen klare Regeln als etwas Angenehmes.“
Über ein Selbsthilfe-Portal im Internet lernen wir Pascal kennen. In seinen E-Mails erfahren wir von seiner Geschichte:
Wann genau er mediensüchtig geworden ist, kann Pascal nicht genau sagen. Gespielt hat er schon immer gerne, es war ein Hobby wie jedes andere: früher auf dem Gameboy, später kamen der Computer und das Handy. Heute ist er 27 Jahre alt, lebt bei seinen Großeltern, Freunde hat er keine.
Meine Familie leidet sehr darunter. Der Kontakt zu meinen Eltern ist schwierig. Alle wollen mir helfen, aber meinen, dass ich da alleine rauskommen muss […]. Für Außenstehende ist das nicht wirklich nachvollziehbar. So verliert man auch den Kontakt zu realen Freunden...
Sein Abitur hat er nicht geschafft. Die Ausbildung auch nicht; er hat sich zu oft krank gemeldet. Im Moment ist er berufstätig, jedoch als Ungelernter.
Spielen aus Langweile und als Ablenkung
Früher hat Pascal viel Fußball gespielt, mehrmals pro Woche. Vor sieben Jahren erlitt er beim Sport einen Kreuzbandriss und war ein halbes Jahr außer Gefecht gesetzt. Das brachte viel Zeit und vor allem viel Langeweile mit sich. Das war der Grund, warum er anfing, ein MMORPGzu spielen und tiefer in diese Welt einzutauchen – zu tief. Im Schnitt hat er sechs Stunden am Tag mit Spielen verbracht.
Ich konnte viele neue Erfahrungen machen, Leute, die ebenfalls spielten, kennenlernen und mich in dieser Welt mit anderen messen. Vor kurzem habe ich für mich festgestellt, dass ich gerne irgendwo gut sein möchte und das war ich damals auch. Das große Problem ist, dass die Spiele gerade so etwas ausnutzen. Um "gut" zu sein, muss man in die Tasche greifen, was ich über die Jahre hin bis heute tue.
Insgesamt hat er beim Spielen über 10.000 Euro ausgegeben, hauptsächlich am Handy. Als besonders gefährlich empfindet er die Spielwelten, die endlos sind und bei denen man, um dauerhaft unter den Besten zu sein, viel Zeit und Geld investieren muss.
Der Weg zurück ins „normale“ Leben
Vor einem Monat hat Pascal beschlossen, den PC an seine Eltern abzugeben, was für ihn alles andere als einfach war. Was bleibt, ist das Smartphone, das trotzdem noch genug Möglichkeiten bietet, zu spielen und Geld auszugeben.
Im letzten Jahr war Pascal bereits in zwei Kliniken, dort wurde aber erst einmal anderen psychischen Problemen Beachtung geschenkt, seine Sucht hat er dort nicht bekämpft. Jetzt hat er nach monatelangem Warten endlich einen neuen Platz in einer Klinik bekommen. Voraussichtlich acht Wochen wird er dort sein, weit weg von Zuhause, um sich nur mit sich selbst beschäftigen zu können.
Eine richtige Persönlichkeit habe ich nicht entwickelt. Ich muss das noch nachholen, wer ich bin, was ich mag und was ich kann. Denn ich möchte gerne ein normales Leben führen, mit Familie, Freunden, Arbeit, Wohnung. So, dass ich glücklich sein kann.
So offen über seine Sucht zu reden, fiel ihm lange schwer.
Viele trauen sich auch gar nicht zu schreiben, wissen nicht, wie sie anfangen sollen, wie ich zum Beispiel, obwohl ich sehr gerne meine Geschichte preisgeben möchte. Denn ich möchte einfach damit aufhören, vor allem, weil alles immer schlimmer wird, wenn man nichts dagegen unternimmt.
Im Alter von 16 Jahren fing Samuel an, Computer zu spielen. Damals war ihm wichtig, mit seinen Freunden zu „zocken“; weltweiter Erfolg war nicht sein Ziel. Nach dem Abitur ging er zur Bundeswehr, allerdings mit drei Monaten Pause dazwischen. In diesen drei Monaten wurde sein Spielverhalten exzessiv, am Wochenende spielte er zwischen zehn und 15 Stunden am Tag. Nach der Bundeswehr hatte er keinen Plan für seine berufliche Zukunft, also spielte er weiter – bis zu 17 Stunden täglich. Er wurde immer erfolgreicher und seine Ziele änderten sich: das reine Spielen aus Spaß reichte ihm nicht mehr und so distanzierte er sich auch immer mehr von seinen realen Freunden.
Auch in Zukunft will sich Samuel mit dem Thema Computerspielsucht beschäftigen – allerdings aus der anderen Perspektive: im Moment studiert er Soziale Arbeit und plant, danach eine Therapeutenausbildung zu machen. Diesen Berufsweg hat ihm sein Suchtberater vorgeschlagen, weil er gemerkt hat, dass sich Samuel gerne über das Thema unterhält und durch seine eigene Erfahrung auch sehr viel Wissen darüber besitzt. Sein Ziel ist es, Präventionsarbeit zu leisten und später anderen Leuten, die dasselbe durchmachen wie er vor einigen Jahren, zu helfen, wieder ein normales Leben aufbauen zu können.
„Wären meine Eltern nicht da gewesen, wäre es schwieriger gewesen, so eine Art Realitätsabgleich zu kriegen, um zu merken, „so wie du gerade lebst, das ist nicht ganz normal“.“
Computerspiele können süchtig machen – manche eher als andere. Da stellt sich die Frage, ob dieses „Suchtpotenzial“ vorsätzlich in die Spiele eingebaut wird und ob die Spielentwickler der Gefahr vorbeugen könnten.Darüber haben wir im Telefoninterview mit Jan Jöckel gesprochen, dem Geschäftsführer von keen games , einem deutschen Entwicklerstudio in Frankfurt.
Jan Jöckel glaubte schon sehr früh an das neue Medium Computerspiel. Bereits 1993 war er Mitgründer eines Entwicklerstudios. In seiner Karriere hat er in vielen verschiedenen Bereichen wie Programmierung, Gamedesign, Gestaltung und Projektleitung gearbeitet.
Beim Thema Computerspielsucht kommt man nicht umhin, auch das Medium „Spiel“ und die spielinternen Prinzipien und Mechanismen selbst zu betrachten. Wir haben eine kleine Auswahl an Onlinespielen zusammengestellt, die in den vergangenen Jahren durch großes Wachstum besonders aufgefallen sind und auch hin und wieder in den Medien mit Computerspielsucht in Kontext gestellt wurden.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) ist eine Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn. Gesetzlicher Auftrag der BPjM ist es, bei der so genannten „Indizierung“ auf Antrag oder Anregung von Behörden und Jugendschutzinstitutionen über die Jugendgefährdung eines Mediums zu entscheiden. Indiziert werden Trägermedien wie Bücher, Zeitschriften, CDs, DVDs, Computerspiele und Telemedien, also alle Online-Angebote. Dabei werden die Medieninhalte durch ein Gremium aufgrund ihres Gefährdungs- oder Beeinträchtigungspotenzials beurteilt.
Die BPjM ist nicht zuständig für die Indizierung von Filmen und Computerspielen, die bereits ein Alterskennzeichen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) bzw. der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) aufweisen. Deshalb hat es die BPjM in diesen Bereichen meist mit Uncut-Versionen von zum Beispiel Egoshootern und ähnlichen Spielen zu tun.
Die gesetzliche Grundlage der BPjM bildet das Jugendschutzgesetz. Dort ist auch festgelegt, was als jugendgefährdend zu bewerten ist:
„Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen.“ (JuSchG, §18 Abs.1)
Medien, die auf der Indizierungsliste landen, dürfen infolgedessen nicht mehr für Kinder oder Jugendliche zugänglich gemacht werden. Indizierte Medien können dann nur „unter der Ladentheke“ vorrätig gehalten und auf Anfrage an Erwachsene verkauft werden.
An der Stelle ist dann auch einfach die Politik gefordert, zu sagen: Moment, da müssen wir gewisse Regeln treffen.
– Holger Feindel, Oberarzt AHG Klinik Münchwies
[Die Bitte], auch Suchtpotenzial mit aufzunehmen in das Gesetz, würde eher von Stellen eingebracht werden, die sich mit diesem Thema besonders beschäftigen, also Suchtberatungsstellen und medizinischen Stellen, die sagen, „wir haben die Probleme festgestellt und können das auf das Phänomen zurückführen und bitten Sie, das gesetzlich zu regeln".
– Petra Meier, Stellvertretende Vorsitzende der BPjM
Ich habe das gebraucht, um runterzukommen. [...] Es hätte jedes Spiel sein können. Einfach nur weg von der Realität.
– Karl, wegen Computerspielsucht in Therapie
Für mich war immer das Problematische, in den Wettkampf mit anderen Spielern zu kommen. Für mich ging es dann immer darum, erfolgreicher zu sein als die anderen, ich wollte mich immer von der Masse abheben.
– Samuel Winkelmann, war computerspielsüchtig
Wir waren einer der ersten Entwickler in Deutschland. Bei Banken hatten wir absurde Gespräche. Niemand hat verstanden, dass man damit Geld verdienen kann.
– Jan Jöckel, Geschäftsführer von keen games
Ich hatte es einfach als Hobby betrieben und dann auf einmal gemerkt, dass man da mehr machen kann. Das gab es ja früher noch gar nicht, die Perspektive, damit Geld zu verdienen. Ich wollte mir einfach alle Möglichkeiten offen halten [und] ich würde es wieder machen.
– Oliver Dürr, ehemaliger League-of-Legends-Profi
Viele Forderungen, die es dann an die Industrie gab, waren „macht eure Spiele weniger interessant“. Das finde ich natürlich irritierend, das wäre so, als würde man beispielsweise dem Fernsehen sagen „macht eure Fernsehserien langweiliger, damit die Leute jetzt nicht das nächste Mal einschalten“.
– Prof. Dr. Thorsten Quandt, Universität Münster
Computerspiele fallen bei mir definitiv komplett unter den Tisch. Jetzt erstmal mein Studium durchkriegen.
– Dietmar, wegen Computerspielsucht in Therapie
Sie hatten bis jetzt nichts mit Computerspielen zu tun? Dann können Sie das jetzt nachholen. Wir haben zum Abschluss ein kleines Logik- und Geschicklichkeitsspiel eingebaut. Viel Vergnügen!
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